Warum der Rücken oft das Opfer ist und nicht der Übeltäter
Viele Leute sagen, dass sie mit ihrem unteren Rücken Probleme haben – mit dieser Aussage liegen sie allerdings falsch. Zwar ist der Schmerz an dieser Stelle spürbar, jedoch ist der Rücken häufig nicht selbst Schuld daran. Vor allem in der Lendenwirbelsäule (LWS) sind Schmerzen häufig eine Folge von Einschränkungen an einer anderen Stelle im Körper. Man kann also sagen, dass der untere Rücken nicht der Schuldige sondern der Leittragende ist. Mit den Worten von Gray Cook sind „untere Rückenschmerzen die Symptome – nicht die Diagnose“.
„Untere Rückenschmerzen beschreiben ein Symptom, welches von nahezu allem ausgelöst werden kann. Beginnend bei einer verengten Hüftstellung über eine schlechte Hebetechnik bis hin zu Knochenkrebs. Sehr häufig stellt der Schmerz nur eine Kompensation für eine Dysfunktion an einer anderen Stelle im Körper dar“, so Gray.
Weiterhin erklärt Gray, dass wenn man versucht ausschließlich die Wirbelsäule zu rehabilitieren, zu stabilisieren oder zu trainieren, ohne die genauen Ursache für die Kompensation zu kennen – Hüftextension, Einschränkung der medialen Rotation auf einer Hüftseite, mangelndes Gleichgewicht auf einem Bein, geringe Mobilität in der Brustwirbelsäule – dann hat man keinen guten Job gemacht, um die Wirbelsäule zu schützen. Ganz im Gegenteil: Du versuchst eine Situation zu verbessern, die einen weitaus positiveren Effekt hätte, wenn man die negative Ursache entfernt.
Nehmen wir bspw. eine Rotationssportart wie Golf, Tennis oder Baseball. Einen Schwung auszuführen bedarf einer großen Drehbewegung des Körpers, welche durch die Rotation der Brustwirbelsäule und Hüften eingeleitet wird. Sind diese Bereiche nicht mobil versucht der Athlet die Bewegung mit der LWS zu kompensieren – welches jedoch nicht die Aufgabe der LWS ist.
In ihrem Buch „The Diagnosis and Treatment of Movement Impairment Syndromes“ (auf Deutsch: Diagnose und Behandlung von beschädigten Bewegungssyndromen) beschreibt Shirley Sahrmann, dass „das gesamte Rotationsspektrum der LWS…ca. 13°Grad beträgt. Die Rotation zwischen den einzelnen Segmenten T10 bishin zu K5 ist 2° Grad. Die größte Spannweite der Rotation befindet sich zwischen L5 und S1 um die 5° Grad.“
Verlässt man sich auf seinen unteren Rücken um eine Drehbewegung durchzuführen, nimmt man automatisch Schmerzen in Kauf. Auch in Fitnessstudios erfolgen häufig Kompensationsbewegungen die auf Kosten des unteren Rückens gehen. Fehlt dir bspw. bei Deadlifts oder Kettlebell-Swings der „Hinge“, um einen stabilen Rücken zu gewährleisten, dann fordert dein Körper die Extension des unteren Rückens ein, wodurch dieser anfälliger für Verletzungen wird.
Wie schon Mike Boyle sagte: „In den meisten Situationen macht der Körper das was ihm leicht fällt, nicht was am Besten für Ihn ist.“ Dies ist nur ein Beispiel welches wichtig zu verstehen ist, um das Konzept der regionalen Wechselbeziehung aufzuzeigen, auch bekannt als „Joint-by-Joint Approach“.
VIDEO: SFMA-Ausbilder Dr. Mike Voight erklärt die regionale Wechselbeziehung – Das regionale Mobilitäts-Stabilitäts-Modell
Hast du manchmal über einen längeren Zeitraum unangenehme, wenn nicht sogar dich im gewissen Maße einschränkende Schmerzen im unteren Rücken? Davon könntest du dich schnell erholen, auch ohne dass jemand sich das Ganze genauer ansieht und dir bei der Rehabilitierung hilft. Aber was passiert stattdessen? Du hörst auf Golf zu spielen, laufen zu gehen oder Gewichte zu stemmen! Du begibst dich auf die permanente Suche nach etwas Passenderem, um die Situation angenehmer zu machen.
In den meisten Fällen schränkst du dich selbst so sehr ein, dass Bewegungen zwar angenehmer jedoch nicht automatisch funktioneller werden. Der Schmerz ist nicht mehr spürbar, was aber vielmehr an der Tatsache liegt, dass dieser nicht mehr provoziert, jedoch ebenso wenig rehabilitiert wird.
Wenn dein Handeln nicht das Bewegungsmuster behandelt, was bringt deine Aktion dann?
Die wohlwollenste Handlung für Rückenschmerzen ist nicht diese beheben zu wollen, jedoch objektiv und permanent die auslösenden Faktoren zu bestimmen bevor man eine Stabilisation der Wirbelsäule herbeiführt.
Die Betrachtung der gesamten Bewegungen kann zu einer Erweiterung des klinischen Fokus führen, Limitierungen aufdecken die unabhängig von medizinischen Befunden und relevant für die Wiederherstellung der Normalfunktion sind. Wir können das Ganze unterteilen in „Quelle vs. Ursache“ („Source vs. Cause“), wobei der traditionell-orthopädische Spezialtest die Quelle (Source) aufdecken soll. Die Ursache (Cause) liegt jedoch häufig in einer eingeschränkten Mobilität oder mangelnder motorischer Kontrolle in einer oder mehreren, anderen Regionen, welches sich nur aufgrund der medizinischen Begutachtung schwer einschätzen lässt.
Das SFMA-Diagnose-Tool deckt die Ursache auf, wohingegen eine medizinische Diagnose nur die Quelle nennt. Das SFMA basiert auf dem Konzept der regionalen Wechselbeziehung, in der die Disfunktion an der ursprünglichen Problemstelle eliminiert wird. Es gibt zahlreiche Studien welche belegen, dass eine schmerzende Disfunktion an einer Körperstelle mit einer anderen Disfunktion einhergeht. Das beste Beispiel hierfür ist die Beeinträchtigung der Hüfte, die mit Schmerzen im unteren Rücken einhergeht oder die Einschränkung der Brustwirbelsäule, welche sich in Nacken- und Rückenschmerzen wiederspiegelt. Die Quelle des Schmerzes zu behandeln und dadurch Funktionen in anderen Bereichen wiederherzustellen unterstützt hierbei das Konzept.